Das optimale Deckfenster, zahlenmässiger Overkill und Verhütung mal anders

Nach 1800 km Autobahn – und eigentlich auch schon vorher – macht man sich als Züchter ja so seine Gedanken ob das mit dem Welpen machen alles geklappt hat. Schließlich kann eine Hündin nicht oft empfangen, da sollte man den richtigen Zeitpunkt – das so genannte Deckfenster – schon treffen. Besonders, wenn der Rüde nicht gerade um die Ecke wohnt. Wer hätte gedacht, der Lehrer hatte recht, man braucht Mathe tatsächlich gelegentlich auch mal fürs Leben!
Hier sind die Fakten: Der Eisprung der Hündin findet durchschnittlich 9-10 Tage nach Beginn der Läufigkeit statt. Danach brauchen die Eier aber noch 2-3 Tage, um zu reifen. Sie überleben nach der Reifung noch etwa 2 Tage im Körper, sind also insgesamt etwa 4-5 Tage lebensfähig. Sperma wiederum kann in den Fortpflanzungsorganen der Hündin etwa 5-7 Tage überleben. Manche Hündinnen „stehen“ (= erlauben dem Rüden sie zu decken) drei bis vier Tage vor dem Eisprung und eine befreundete Züchterin erzählte von einem Deckakt, der 12 Tage (!) nach dem Eisprung stattfand (das war dann aber auch nichts). Verwirrt? Ich auch. Deswegen habe ich noch mal recherchiert.
Dabei kamen natürlich noch mehr Zahlen ins Spiel – recherchieren ist ja irgendwie immer so wissenschaftlich, und wissenschaftlich fundiert = Zahlen. Die Männer werden das jetzt wieder nicht so gerne hören, aber beim Menschen ist das ja so, dass bei jeder Ejakulation etwa 40 Millionen Spermien frei gesetzt werden – um eine winzige unschuldige Eizelle zu befruchten!! Effizient ist ja was anderes…
Beim Hund ist es nicht viel anders, ein Yorkshire Terrier zum Beispiel schiesst 300-400 Millionen Schwimmer in seine Auserwählte, um lächerliche 2-6 Eizellen zu befruchten. Deswegen ist die Wurfgröße auch nicht vom männlichen Part zu verantworten. Die geben alles, ehrlich! Eine Setterdame liegt ja in Bezug auf die Wurfgröße auch gerne mal im zweistelligen Bereich, um diese 10-14 Eizellen zu befruchten hat der dazu gehörige Settermann entsprechend mehr Spermien in seinem Ejakulat. Der totale Overkill, so mein erster Gedanke.
Aber bei näherer Betrachtung bin ich jetzt einigermassen erstaunt, das Hunde nicht schon lange ausgestorben sind. Oder irgendeine Spezies, die auf die Befruchtung von Eizellen mit Spermien angewiesen ist. Das Zeug hält ja nichts aus!! Auf der Plus-Seite sind Spermien offensichtlich wild entschlossen und legen enorme Strecken zurück, aber scheinbar sind sie auch ebenso leicht abzulenken und praktisch alles kann sie abtöten.
Zum Beispiel eine Erhöhung der Temperatur von wenigen Grad über normaler Körpertemperatur in den Hoden (weswegen Rüden, deren Hoden nicht abgestiegen sind für die Zucht unbrauchbar sind; die in der Bauchhöhle verbleibenden Hoden haben eine höhere Temperatur). Natürlich sind die Hoden als Produktionsstätte noch brauchbar, aber alle bereits produzierten Spermien sind hinüber. Es braucht etwa 6 Wochen, bis sich die Produktion wieder normalisiert hat. Wenn das öfter passiert, kann das zu bleibender Sterilität führen. Eine Quelle berichtet von einem ganzen Haufen Showhunde, die durch den ständigen Gebrauch des Föns steril geworden sind (Na Mädels, sehr ihr jetzt was ich mit völlig neuen Möglichkeiten in Bezug auf Verhütung meine?!).
Erhöhte Temperatur kann natürlich auch durch Fieber infolge von Krankheit und Infektion auftreten. Wenn der Rüde Fieber hat, hängen die Hoden tiefer – eine natürliche Reaktion des Körpers, um die Spermien zu schützen. Gleiches passiert bei heissem Wetter. Also je tiefer die Hoden Ihres Rüden, desto heisser der Sommer?
Heisse Bäder erhöhen die Kernkörpertemperatur kurzfristig, ebenso der Gebrauch eines Haartrockners. Jetzt macht der Tipp plötzlich Sinn, die Hoden des Südens bei Fönen mit der Hand zu schützen. Aber hey, das Bad muss gar nicht heiss sein. Wie gesagt, fast alles tötet Spermien ab. Wasser zum Beispiel. Unsere Körperflüssigkeiten sind salzhaltig. Salz zieht Wasser an. Wenn sich Wasser in einer für künstliche Befruchtung genutzten Spritze befindet, oder in dem Behälter, in dem der Samen aufbewahrt wird… nur ein Tropfen, und es ist vorbei mit dem Salz-Wasser-Gleichgewicht der Spermien. Das Wasser gelangt in die Zellen und PÖFF, die Zellen explodieren! Das sieht aus wie der aufblasbare LIKE Daumen im Facebook Messenger (ich stelle mir das auch gerne mit dem Geräusch dazu vor).
Gleiches kann auch passieren, wenn man die Scheide der Hündin vor dem Decken mit Wasser reinigt – einiges an Sperma geht dann angeblich auch den Gang des irdischen (wobei man über die Erfolgschancen von Spermien, die sich an der Aussenseite der Scheide rum treiben sowieso streiten könnte). Also was immer an Equipment benötigt wird – mit Kochsalzlösung reinigen, nicht mit Wasser. OK, nicht relevant für mich, aber nice to know.
Wo wir beim Thema künstliche Befruchtung sind; Gleitmittel töten Spermien ebenfalls ab. Die basieren wohl ebenfalls auf Wasser. Latex bringt Spermien um. Also Latexhandschuhe beim Sammeln von Spermien – auch nicht gut. Waschmittel, Seife und Bleichmittel bringen Spermien um. Überhaupt alle Reinigungsmittel. OK, auch nicht wirklich relevant, trifft mehr den Umgang mit Equipment als die Geschlechtsorgane der Hündin, aber interessant zu wissen. Eigentlich sollten die Spermien einen Stempel bekommen, „FRAGILE“. Aber das würde sie natürlich auch umbringen.
An der Stelle war ich ja trotzdem noch relativ entspannt. Mit künstlicher Befruchtung hab ich ja nichts am Hut, also sind mir Latexhandschuhe, Gleitmittel und andere unappetitlichen Dinge schnuppe. Aber beim Lesen weiterer Quellen fiel mir dann auch noch folgendes auf: Sperma ist doof! OK, natürlich hat die kleine Zelle kein Hirn, daher ist das mal wieder komplett unwissenschaftlich. Aber die Programmierung der Spermazelle geht wohl dahin, dass Spermien darauf gepolt sind große, runde Objekte mit glatter Oberfläche zu finden und zu penetrieren. Aber – und hier sehe ich wieder gewisse Parallelen zum Sexualverhalten der männlichen Spezies diverser Gattungen im Allgemeinen – die knallen einfach alles, was nur annähernd den Zielvorgaben entspricht!
Wissenschaftler haben ja Sinn für Humor (und offensichtlich nichts Besseres zu tun, wer finanziert das eigentlich?!) und das mehrmals getestet: Wenn man einen Tropfen Kochsalzlösung (kein Wasser, wie wir jetzt alle wissen!) auf einen Objektträger gibt und unters Mikroskop legt, dann kann man zusehen wie Tausende von Spermien eifrig versuchen als erster in eine Luftblase einzudringen. Oder in ein rotes Blutkörperchen. Oder ein rundes Stück Zellmüll. Eckige Formen scheinen sicher zu sein, aber weich und rund ist fatal. Weitere Tausende von Deppenspermien nehmen die falsche Abzweigung und landen irgendwo in der Scheidewand. Kein Wunder, dass es 300-400 Millionen von den kleinen Idioten braucht. Kanonenfutter, die meisten davon!
Deswegen werden Sie jetzt die Spannung verstehen, mit der ich (und jeder andere Züchter in meiner Situation) mit Spannung die 28 Tage abwartet, nach denen wir endlich einen aussagekräftigen Ultraschall machen können. Letztlich wollen wir nur sehen, ob wenigstens einige der 300-400 Millionen fragilen, leicht verblödeten (und zu 20% auch noch verkrüppelten und damit Schwimmunfähigen) Spermien es bis zu ein paar Eizellen geschafft haben. Und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die auch schon reif, aber noch nicht tot waren.
Oh Mann, ich hoffe Kalle hat halbwegs clevere Spermien!

Quelle: Men's Health
Quelle: Men’s Health